Zur Frage des "Geringen Angebotes"  von Christoph Roth
 

Zielgruppe des Aufsatzes:

Dieser Aufsatz richtet sich vornehmlich an Kollegen und Juristen, die sich mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des geringen Angebots an vergleichbarem Wohnraum nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz beschäftigen (müssen).
 
 

Vorbemerkungen:

In gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Angemessenheit von Mietzinsen und über Rückzahlungsforderungen von Mietern wird an den Sachverständigen nicht nur die Frage nach der Höhe der ortsüblichen Miete nach Miethöhegesetz gestellt. Er muß sich auch zur Angebotslage am örtlichen Wohnungsmarkt äußern. Rückzahlungsansprüche bestehen eventuell, wenn im Zeitpunkt der Anmietung ein geringes Angebot an vergleichbaren Räumen bestand.

Dieser Aufsatz erschien im Heft 5/99 des RDM Informationsdienstes für Sachverständige.
 
 
 

Zur Frage des "Geringen Angebotes"  von Christoph Roth
 

Sachverständige werden in Mietsachen oft mit der Frage konfrontiert, ob es im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein geringes Angebot an Wohnungen gab. Auch für den Sachverständigen ergibt sich dann das Problem den unbestimmten Rechtsbegriff des geringen Angebotes zu interpretieren. Die Rechtsprechung hat meines Wissens noch nicht ausreichend präzise Interpretationen gegeben, die dem Sachverständigen auch einen Lösungsweg eröffnen. Die Tendenz der Rechtsprechung zu § 5 (2) des Wirtschaftsstrafgesetzes läßt sich am folgenden, mir vorgegebenen Zitat ablesen:
 

"Ein geringes Angebot ist schon dann anzunehmen, wenn es die Nachfrage nicht spürbar übersteigt",
 

Es folgt meine Antwort in einem konkreten Fall in Köln. Es handelte sich um eine größere, renovierte Altbauwohnung des höheren Preissegmentes:

Aus der oben wiedergegebenen Negativdefinition folgt, daß ein ausgeglichener Markt,(1)in dem sich Angebot und Nachfrage die Waage halten, per Definition als Wohnungsmarkt mit einem geringen Angebot zu verstehen ist, weil in einem derartigen Markt das Angebot die Nachfrage nicht übersteigt.
 

Dröge (2)  geht nach Auswertung der Literatur sogar weitergehend davon aus, daß noch von einem geringen Angebot auszugehen ist, wenn das Angebot die Nachfrage um 5% übersteigt und formuliert mathematisch, daß bis die Zahl der Wohnungen die Zahl der Haushalte um 5% überwiegt von einem geringen Angebot auszugehen ist. Allerdings zeigt diese Interpretation der Definition keine Lösungsmöglichkeiten zur Beantwortung der Frage nach dem geringen Angebot auf. Wie ermittelt man die Zahl (potentieller) Haushalte ohne Wohnung? Auch die Rechtsverordnung über die besondere Gefährdung der ausreichenden Versorgung mit Wohnraum(3) in Köln kann die faktische Prüfung der Angebotslage nicht ersetzen. Fragestellung ist, wie man die Angebotslage auf dem Mietwohnungsmarkt wirksam ergründen kann.
 

Ein gängiger Versuch die Frage nach einem geringen Angebot zu beantworten, stützt sich auf die Auswertung der öffentlich angebotenen Wohnungen bzw. gesuchten Wohnungen in den gängigen Anzeigenrubriken der Regionalpresse. Ich habe Anzeigenrubriken des Kölner-Stadt-Anzeigers im Oktober bzw. November 1994 (vier Samstagsausgaben) gesichtet und ausgewertet.
 

Zunächst habe ich eine quantitative Auswertung vorgenommen. Es ergaben sich hier durchschnittlich 43 Angebote für Großwohnungen bzw. 4-Zimmer-Wohnungen in Köln und Umgebung - linksrheinisch. Diesen Angeboten standen in dieser Wohnungsgruppe durchschnittlich 46 Gesuche gegenüber, wobei die Gesuche sich zum Teil auf 3-4 Zimmer-Wohnungen bezogen. Zum Vergleich ergab sich mit gleicher Auswertung im August 1998, daß 65 Angeboten 52 Gesuche gegenüberstanden. Dies bestätigt in der Tendenz aus der Quantität der Anzeigen, daß die Angebotslage im November 1994 angespannter als heute war. Die Nachfrage läßt sich jedoch an der Zahl der Angebote oder der Zahl der Mietgesuche nicht ablesen. Ich bin weitergehend auch nicht der Auffassung, daß man aus dem Verhältnis von Angeboten und Mietgesuchen (rein mathematisch) ableiten könnte, daß im November 1994 ein Nachfrageüberhang von 7% bestand oder im August 98 ein Angebotsüberhang von 25% besteht.
 

Niemand weiß, ob sich die Angebots- bzw. Nachfragesituation im Anzeigenmarkt entsprechend den tatsächlichen Gewichten widerspiegelt. Vielmehr ist dies, wenn man die vielfältigen Einflüsse auf den Mietwohnungsmarkt und seine Differenziertheit betrachtet, nicht begründbar und wäre eher zufällig. Anzeigenschaltung von Nachfragerseite ist, allgemeinwirtschaftlich gesehen und auch im Mietmarkt, die Ausnahme und zeugt nur von den großen Schwierigkeiten bestimmter Mieter eine subjektiv geeignete Wohnung zu finden. So ist die Entscheidung des Mieters für eine Wohnung für ihn i.d.R. wichtiger als umgekehrt für den Vermieter die Entscheidung für einen bestimmten Mieter. Die Wohnung bildet ja künftig den Lebensmittelpunkt des Mieters und die Miete beansprucht einen großen Teil(4)   des verfügbaren Einkommens. Bekanntermaßen existiert weiterhin neben dem Anzeigenmarkt, ein nicht öffentlicher Wohnungsmarkt in dem Wohnungsvermittlung direkt und ohne Zeitungsanzeige erfolgt (Wartelisten bei größeren Vermietern, Bekanntschaft des Vormieters oder Vermieters, Empfehlungen u.s.w.), der sich auch Ortsansässigen oft nur zufällig erschließt. Erfahrungsgemäß gehen mehr als die Hälfte der Neuabschlüsse nicht auf eine Anzeigenschaltung zurück, so daß sich in der Presse nur ein bestimmter Teilausschnitt des Marktes ­ Restmarkt ­ widerspiegelt. Dies veranlaßt manche Wohnungssuchende Anzeigen für Mietgesuche aufzugeben. Zusammenfassend bin ich der Auffassung, daß die Quantität der Wohnungsangebote in der Regionalpresse allenfalls unterstützende Hinweise auf die Angebotslage geben kann. Die gegenüberstehende Nachfrage läßt sich den Anzeigen nicht entnehmen, ist aber entscheidend für das Eintreten eines geringen Angebotes.
 

Die qualitative Auswertung der Angebote im Anzeigenteil des Kölner-Stadt-Anzeigers im Oktober/November 1994 ergab, daß Mehrfachinserate sich durchweg auf hochpreisige Wohnungen bezogen, sodaß sich daraus unter den unten genannten Vorbehalten die Andeutung der Trendwende im Hochpreissegment ablesen läßt.
 

Im Einzelfall läßt sich nämlich für nahezu jede Wohnung in nahezu jeder Marktsituation mit der Höhe des geforderten Mietzinses eine (subjektiv) hohe oder auch eine (subjektiv) fehlende Nachfrage erzeugen. So wird die Nachfrage nach einer Wohnung in starkem Maße von der Vermietungspolitik des Vermieters, dem Angebotspreis, bestimmt. Es gibt Vermieter, die regelmäßig versuchen am oberen Rand der Bandbreite üblicher Neuvermietungspreise abzuschließen, dafür aber regelmäßig mit höherer Fluktuation rechnen müssen. Diese Vermieter müssen bei sinkenden Preisen bzw. nachlassender Nachfrage auch Leerstände verkraften, wenn sie die Mietpreise halten wollen. Nehmen Vermieter deutliche Leerstände in Kauf gleicht dies einer Spekulation auf steigende Mieten. Derartige Leerstände sind aber bis auf Ausnahmen nicht mit grundsätzlich fehlender Nachfrage oder Angebotsüberhang gleichzusetzen, weil sich diese Wohnungen zu geringeren Mietpreisen schnell am Markt vermieten lassen. Andere Vermieter vermieten tlw. deutlich unter dem Marktniveau und hoffen so durch genaue Auswahl des passenden Mieters übergroße Fluktuation, Zahlungsausfälle o.ä. zu vermeiden.
 

Grundsätzlich wird die Angebotslage auf dem Wohnungsmarkt von vielen unterschiedlichen, sich überlagernden und teilweise gegenläufigen Faktoren beeinflußt. So sind hier großräumliche, regionale und demoskopische Entwicklungen z.B. Zuzug nach Westdeutschland, Neubautätigkeit in der Region, Wegfall von Belegbindungen und das Nachdrängen geburtenstarker Jahrgänge auf den Wohnungsmarkt zu nennen. Auch existiert seit langem ein Trend zu größeren Wohnungen, die Wohnfläche pro Einwohner nimmt laufend zu. Es kann davon ausgegangen werden, daß hier ein Trend zu kleineren Haushalten bzw. Wunsch nach mehr Wohnraum vorliegt, der (fast) nur durch die Miethöhe bzw. das für die Miete verfügbare Einkommen gebremst wird.
 

Ein vollständiges Erklärungsmodell für den Mietmarkt, Angebot und Nachfrage auf demselben, wird sich wegen der Vielzahl der Einflußfaktoren und der letztlich subjektiv zufälligen Mietpreisgestaltung im Einzelfall, um mehr als +- 20% schwankende Mietpreise qualitativ nahezu identischer Objekte sind keine Seltenheit, nicht finden lassen. So bietet sich praktisch letztendlich nur der Weg die Angebotslage an der (durchschnittlichen) Entwicklung der Neuvermietungspreise abzulesen. Dies folgt der Marktregel, daß eine geringe Nachfrage und/oder ein großes Angebot sinkende Preise bedingt, während eine große Nachfrage und/oder ein sinkendes Angebot steigende Preise bedingt, weil die Käufer/Mieter grundsätzlich möglichst niedrige Preise anstreben und die Verkäufer/Vermieter grundsätzlich höhere Preise anstreben. So lassen sich Änderungen der Angebotslage am sichersten durch Preisbeobachtung (Durchschnitt!) im entsprechenden Teilmarkt erkennen. Andere Erfahrungen oder Beobachtungen dürften wegen Betrachtung eines subjektiven bzw. begrenzten Marktausschnittes nicht weiterführen. Die Frage wie stark bzw. schnell die Mietpreise fallen dürfen(5), um nach dem oben entwickelten Ansatz noch von einem geringen Angebot sprechen zu können, ist nach meiner Auffassung kein sachverständig zu lösendes Problem, sondern eine Rechtsfrage. Die Frage der zutreffenden Bestimmung der Entwicklung der Neuvermietungspreise im entsprechenden Teilmarkt zum vorgegebenen Zeitpunkt ist die Aufgabe des Sachverständigen.
 

Mit dem o.a. Ansatz zur Definition des geringen Angebotes folgte schließlich, daß hier zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein geringes Angebot an vergleichbarem Wohnraum vorlag, weil die Neuabschlußmieten dieses Teilmarktes im November 1994 (Zeitpunkt des Vertragsschlusses) stagnierten und sich folglich Angebot und Nachfrage die Waage hielten. Dies wurde tendenziell durch die Auswertung der Wohnungsangebote in den Wochenendausgaben des Kölner-Stadt-Anzeigers bestätigt.
 
 
 

Christoph Roth
 

veröffentlicht im RDM-Informationsdienst für Sachverständige, Ausgabe 5/99
 

Fußnoten:

1. Nur auf den ersten Blick folgt aus, der nach meiner Auffassung etwas unpräzisen, Negativdefinition sogar, daß ein Markt mit einem leichten Angebotsüberhang ebenfalls noch ein geringes Angebot aufweist. Ein nachweisbarer Angebotsüberhang ist natürlich aber auch spürbar - weil nachweisbar -, sodaß in der Praxis m.E. nach o.a. Definition solange von einem geringen Angebot auszugehen ist, bis das Angebot nachweisbar größer als die Nachfrage ist. Andernfalls hätte die Definition positiv ausdrücken müssen, z.B. ein geringes Angebot liegt auch dann noch vorliegt, wenn das Angebot in einem bestimmten (leichten) Maße übersteigt.

2.  Ferdinand Dröge; Handbuch der Mietpreisbewertung für Wohn- und Gewerberaum, Luchterhand 1997, S. 280

3.  Diese Verordnung traf Köln 1994 wie 1998 (Auskunft des Wohnungsamtes der Stadt Köln).

4. Nach dem Mietenbericht 1997 der Bundesregierung werden durchschnittlich rd. 25 % des Haushaltsnettoeinkommens für die Bruttokaltmiete ausgegeben.

5. Stagnierende Mietpreise dürften bei geringer stetiger Geldentwertung grundsätzlich sogar auf einen leichten realen Preisrückgang in Höhe der Geldentwertung, d.h. einen leichten Angebotsüberhang, hindeuten.

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